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TV-Kritik/Review: "The End of the F***ing World": Eine der schönsten Überraschungen des letzten Serienjahrs
(16.01.2019)
Um eine der schönsten Überraschungen des Serienjahrs 2018 komplett durchzuschauen, braucht es nicht einmal drei Stunden: Acht Episoden von der Sitcomfolgenlänge à 22 Minuten benötigen die Regisseure Jonathan Entwistle und Lucy Tcherniak, um Charles S. Forsmans gleichnamige Graphic Novel in
Alex Lawther, den die meisten aus der niederschmetternden
Schon in der Pilotepisode machen sich die beiden Outsider auf den Weg ins Unbestimmte. Das vage Ziel: Alyssas Vater. Phils Auto, das sie dafür entwenden, landet schon nach kurzer Zeit am Baum. Genau verortet ist die Gegend nicht, in der die Erzählung spielt. London gibt es zwar als nicht allzu weit entfernten Fixpunkt, doch welcher (wohl südenglischen) Küste die beiden Teenies da entgegenreisen, wird nicht enthüllt. Die farnbewehrten Wälder, die Wiesen und Wälder, durch die sie kurven, sehen eher aus wie eine Märchenwelt, und die Orte, an die es sie führt, sind Nichtorte: Tankstellen, Imbisse, Kleinstadtläden, kleine Hotels. Sie könnten sich überall befinden. Immer wieder sieht man sie in ort- und zeitlosen Dinern sitzen und Pommes essen. Einmal nimmt sie ein pädophiler Autofahrer ein Stück des Weges mit, belästigt James am Pissoir; mit von ihm erpressten Geld geht es weiter in die Ungewissheit hinein, sie knacken Autos, prellen die Zeche, stehlen. Als sie eine vermeintlich leerstehende Nobelvilla besetzen, werden sie vom heimkehrenden Besitzer, einem Professor mit abgründigem Geheimnis, überrascht. Die Konsequenzen sind blutig, bald sind ihnen zwei lesbische Polizistinnen auf der Spur (Wunmi Mosaku und Gemma Whelan, die Yara Greyjoy aus
Man darf einwenden, dass die Serie ein klein wenig zu schwächeln beginnt, wenn es mit dem Psychologisieren losgeht. James' psychopathische Gefühlskälte, die sich in einer eher theoretisch ausagierten Mordlust äußert, wird mit dem Trauma begründet, dass er als Kind (gespielt von Jack Veal) den Suizid der Mutter mitansehen musste. Als er, ebenfalls eher auf rationaler Ebene, begreift, dass er sich in Alyssa verliebt hat, mithin erstmals eine emotionale Bindung zu einem anderen Menschen spürt und dann auch noch, wie in einer Art umgedrehten Katalysator, tatsächlich einem Menschen das Leben nimmt, verschwindet die Mordlust (anfänglich noch durch blitzschnell dazwischengeschnittene Brutalvisionen visualisiert) schnell ganz aus der Handlung. Vergleichbar wie die Rebellionssucht Alyssas auf das frühe Verlassenwerden durch ihren verantwortlungslosen Vater zurückgeführt: Beide Erklärmodelle leuchten ein, machen die Figuren aber auch ein Stück weit "realer" und damit weniger interessant, sprich: weniger jener Märchenwelt zugehörig, in die sie eingangs aufbrachen.
Zum Glück arbeitet die Regie jedem Kitsch konsequent entgegen. Das Timing und die Montage sind von einer so formidablen rhythmischen Tadellosigkeit, dass sie ohne jede Störmomente von einer 20-Minuten-Episode zur nächsten tragen. Die (an Wes Anderson erinnernde) Methode, frontale Schuss-Gegenschuss-Einstellungen zu wählen, die die handelnden Personen in 1:1- oder 2:1-Konstellationen ins Bild rücken und so köstliche Deadpan-Komik aus den reaction shots zu kitzeln, geht bestens auf. Es steckt ohnehin viel von den Klassikern des makabren Humors in dieser Serie, von
Die folkige Originalmusik komponierte übrigens Blur-Gitarrist Graham Coxon. Neben einigen sehr schönen Songs sind auch ein paar cool-jazzige Einlagen dabei, die nicht von ungefähr an Angelo Badalamentis
Bleibt noch zu klären, ob "The End of the F***ing World" überhaupt eine Serie ist, zumindest jenen Maßstäben gemäß, die derzeit an diesen Begriff angelegt werden. Tja. Die Handlung bleibt auf die beiden Protagonisten und ihre Perspektive konzentriert, Abzweigungen gibt es keine, und nach 160 Minuten ist Feierabend. Klar, das hätte auch einen klugen Indie-Kinofilm ergeben können. Als Serienstaffel angelegt aber besteht (nach dem überraschenden Erfolg bei Publikum und Kritik) fast schon ein Zwang zur Fortsetzung - die inzwischen bestätigt wurde. Die letzte Einstellung der ersten Staffel ist mutig und bleibt angemessen ambivalent; man hätte es fraglos dabei belassen können. Autorin Covell, den Regisseuren und ihren Darstellern ist es aber unbedingt zuzutrauen, dass sie, wenn sie in einer zweiten Staffel über die Comicvorlage hinauszugehen haben, trotzdem jede Menge Interessantes zu erzählen haben werden.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der kompletten ersten Staffel von "The End of the F***ing World".
Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: Netflix
Die Auftaktstaffel von "The End of the F***ing World" findet sich in Deutschland im Angebot von Netflix.
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