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TV-Kritik/Review: "The Great": Elle Fanning und Nicholas Hoult begeistern in unbekümmert geschichtsklitternder Kostümserie
(18.06.2020)
Wer es im Kostümfilm mit historischer Korrektheit hält, sollte bitte direkt weitergehen: Es gibt hier nichts dergleichen zu sehen.
Denn was wir stattdessen bekommen, ist womöglich das Witzigste, was es diese Saison jenseits klassischer Sitcoms zu sehen gibt - zugleich auch mit das Fieseste, Albernste und rundherum Beknackteste. Über weite Strecken ist "The Great" ein schonungslos böses und schamlos satirisches Porträt adeliger Privilegien und Rücksichtslosigkeiten in den letzten Jahrzehnten vor der Französischen Revolution, inszeniert ist es als kongenial selbstbewusste Schmierenkomödie mit zwei absolut brillanten Hauptdarstellern: Elle Fanning als Katharina und Nicholas Hoult als Peter. Der australische Autor Tony McNamara, der sich das Ganze (zunächst als Theaterstück) ausgedacht hat, kennt sich mit derlei Dingen aus: Er war zuletzt ein oscarnominierter Co-Autor des im Tonfall ähnlich gelagerten Kinofilms
Also nochmals die Vorwarnung: Wer "seriös" über Katharinas Aufstieg am Zarenhof informiert werden möchte, sei etwa an die letztjährige HBO-Miniserie
Besonders in deutschen Film- und Fernsehproduktionen wird ja gerne einem merkwürdigen Authentizitätsfetisch gehuldigt: Die Macher scheinen sich vom Publikum vor allem Applaus abholen zu wollen dafür, dass sie die Filmsets vom Schrank übers Telefon bis zur Perücke mit möglichst "echtem" Mobiliar der porträtierten Epoche vollgerümpelt haben: Oh, so eine Brille hatte Fritz Bauer ja wirklich! Wow, genau so hat Hitler wirklich mit der Hand gezittert! Um eine Nachbau-Akribie dieser Art ist es "The Great" nun gerade nicht gelegen - auch wenn Kostüme und Ausstattung durchaus beeindrucken. Wie wenig sich McNamara und die Regisseure (darunter
Auch das vortreffliche Schauspielensemble wurde sicher nicht nach slawischen Ähnlichkeitsgesichtspunkten zusammengestellt - es ist vollkommen divers. Die russische Grafen und Hofdamen sind bunt gemischt, weiß, schwarz oder sonstwie of color, ohne dass dies in irgendeiner Weise thematisiert würde. Es ist die Idealform des Prinzips "Schauspiel", nach dem eben jede(r) jede(n) "verkörpern" darf: Nur wenn ein Schwarzer wie selbstverständlich den Hamlet spielen darf, kann auch ein weißer Othello-Darsteller wieder tragbar sein.
Von dieser Haltung getragen, setzt sich die Katharina-Story zügig in Gang: Als etwa 20-Jährige kommt Sophie/Katharina zu Beginn aus Preußen nach Petersburg, um mit Zar Peter III vermählt zu werden - und ihre anfangs naiv-romantischen Vorstellungen sofort zerschellen zu sehen. Peter nämlich ist kein fortschrittlicher Regent, sondern ein saufseliger und ziemlich tumber Ignorant, der die Adelsdamen als dauerverfügbare Beischlafware betrachtet, sämtliche Untergebenen wie Dreck behandelt und sich mit Claqeuren und Speichelleckern umgibt, die noch den größten Stuss aus seinem Munde mit einem freudigen Huzzah!
quittieren. So wie schon die dramaturgischen Rahmenbedingungen nichts mit der Überlieferung zu tun haben (Katharina wurde schon als 14-Jährige mit Peter verheiratet, dieser musste dann noch lange auf seinen Kaisertitel warten, da seine Tante Elisabeth noch als Zarin regierte), so lustvoll-schamlos übernimmt McNamara das Narrativ vom nichtsnutzigen Gewalthedonisten Peter - ein Zerrbild, das Katharina selbst in die Welt setzte.
Wie US-Amerikanerin und Mit-Produzentin Elle Fanning (
Der restliche Cast ist ebenfalls toll: Phoebe Fox ("Die Frau in Schwarz 2") spielt die zur Kammerzofe degradierte ehemalige Hofdame Marial, die zu Katharinas Verbündeter wird. Zu ihnen gesellen sich bald Peters nervöser Berater Orlo (Sacha Dhawan aus
Obwohl die Staffel klar auf Katharinas geplanten Coup d'État hinausläuft, bleibt gerade zum Ende hin die Spannung hoch - schließlich ist in dieser Serie alles möglich, und tatsächlich hält das Finale clevere Überraschungen bereit. Ob eine Fortsetzung der Serie danach möglich ist? Schwer zu sagen. Auch in der ersten Staffel, das muss man erwähnen, gibt es durchaus ein paar Längen, in denen sich zeigt, dass der Stoff für zehn fast einstündige Episoden möglicherweise nicht ganz ausgereicht hat - trotz köstlicher Abschweifungen in Sachen Pockenkrankheit (samt Impfpflicht-Diskurs!) und Schwedenkrieg sowie Gastbesuch des französischen Aufklärers Voltaire.
Demgegenüber stehen aber McNamaras messerscharfe und oft im Schnellfeuer hin- und hergehenden Dialoge, die sich wunderbar mit Fannings und Hoults trocken-britischer Nonchalance reiben, sowie eine humoristische Bandbreite, die mühelos zwischen derben Furzwitzen, groben Geschmacklosigkeiten, klamaukigem Slapstick und feinstem Wortwitz irrlichtert. Das komödiantische Timing aller Beteiligten ist absolut bewundernswürdig. Man sollte aber darauf gefasst sein, dass den Machern dabei vom Kindsmord bis zur Leichenschändung, von harten Folterszenen bis zur polternden Sexnummer rein gar nichts zu obszön ist - das wird fraglos einige verprellen, die sich von dieser Serie möglicherweise eine nett-ironische Kostümserie à la
Stattdessen nimmt "The Great" Elemente aus Sofia Coppolas
Dieser Text basiert auf Sichtung der kompletten ersten Staffel von "The Great".
"The Great" wurde in den USA von hulu veröffentlicht. Am 18. Juni 2020 folgte die Deutschlandpremiere der kompletten ersten Staffel beim Streaming-Anbieter Starzplay.
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