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TV-Kritik/Review: "Tokyo Vice": US-Journalist auf den Spuren der japanischen Yakuza
(15.05.2022/ursprünglich erschienen am 11.04.2022)
Als der junge Kriminalreporter Jake Adelstein an der Haustür eines Polizisten klingelt, den er als Informanten gewinnen will, öffnet dessen kleine Tochter und versteckt sich sofort ängstlich hinter der Mutter. Da stehe ein Monster vor der Tür! Tatsächlich hat das Mädchen noch nie zuvor einen Amerikaner gesehen - oder irgendeinen anderen Weißen. Gaijin nennen die Japaner abfällig alle westlichen Ausländer und damit verbunden sind allerlei Vorurteile, denen Jake fortwährend ausgesetzt ist, seit er nach Tokio gezogen ist, um sich seinen größten Traum zu erfüllen.
Aber zunächst erleben wir mit, wie Jake sich 1999 auf den Einstellungstest bei der Yomiuri Shinbun vorbereitet. Gemeinsam mit gut 100 Mitbewerbern tritt er dann zur mehrstündigen Prüfung an, alle konservativ gekleidet in Anzug und Krawatte. "Der Test ist auf Japanisch", bemerkt sicherheitshalber die Mitarbeiterin, die ihm die Unterlagen überreicht. Für Jake das geringste Hindernis, hat er die Landessprache doch so gut gelernt, dass er tatsächlich als einer der besten abschneidet - und eingestellt wird. Doch damit beginnen erst seine Probleme, denn in der Hierarchie der riesigen Redaktion fängt er ganz unten an und sein Ressortleiter ist ein Rassist. Bei seiner ersten Pressekonferenz hält ihn ein Polizeibeamter gar für einen Spion.
Hinzu kommt, dass Jake aus seiner Heimat eine andere Vorstellung von Journalismus mitgebracht hat, als ihn die Shinbun pflegt: Er soll nur Pressemeldungen und Polizeiverlautbarungen wörtlich übernehmen und bloß keine eigenen Überlegungen in seine Berichte einbringen. Nachfragen und tiefere Recherche sind unerwünscht. Doch damit gibt sich der Berufsanfänger nicht zufrieden und neben seiner aufreibenden, aber eintönigen Tagesarbeit sucht er abends nach einer eigenen, einer "echten" Story. So vermutet er, dass mehrere gewaltsame Todesfälle im Ausgehviertel zusammenhängen: Ein Mann wurde auf der Straße erstochen, mehrere andere verbrennen sich öffentlich selbst. Im Umfeld taucht immer wieder das Logo eines Pfandleihers auf, dessen Geschäftsräume aber leer sind. Offensichtlich hatten alle Toten Schulden bei dieser Firma und die wendet rabiate Methoden zur Rufschädigung an, wenn sie ihr Geld nicht zurückbekommt. Hinter den Kredithaien stehen die Yakuza und damit ist Jake mittendrin in einer Recherche über die Tokioter Mafia, die für ihn selbst sehr gefährlich werden kann.
Ansel Elgort (gerade in der Hauptrolle von Steven Spielbergs
Abseits von den Figuren fasziniert die Atmosphäre der schillernden japanischen Megametropole zwischen grauem, extrem reglementierten Redaktionsalltag und der nächtlichen Welt der Rotlichtbars und Spielhallen. Dabei ist der inszenatorische Stil eher zurückhaltend. Dass die knallbunten, neongrellen 1980er lange vorbei sind und Michael Mann diesem Stil auch nicht nachtrauert, bewies er schon 2006 in seiner unterschätzten
Gleichermaßen ungewohnt wie bemerkenswert ist es, eine US-Serie zu sehen, die komplett in Tokio spielt, in der etwa 80 Prozent der handelnden Figuren Japaner sind und mehr als die Hälfte der Zeit Japanisch gesprochen wird. Ein mutiger Schritt, der noch vor einigen Jahren unvorstellbar gewesen wäre und sicher dem weltweiten Siegeszug der Streamingdienste zu verdanken ist. Auch wenn nicht ganz nachzuvollziehen ist, warum die einheimischen Figuren sich mit Jake meistens auf Englisch unterhalten, wenn sie mit ihm allein sind, obwohl der ja perfekt Japanisch spricht (wahrscheinlich ein Zugeständnis gegenüber den Zuschauenden in den USA, um die nicht völlig zu vergraulen). Dennoch hat man den Eindruck, hier einen tieferen Einblick in die japanische Gesellschaft zu bekommen, als das bisher in westlichen Filmen und Serien möglich war.
"Tokyo Vice" ist nicht "Miami Vice", zeigt aber viele Ansätze, einen ähnlichen Sog zu entwickeln wie jene Serie in den 80ern.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten drei Episoden von "Tokyo Vice".
"Tokyo Vice" wurde ab 7. April in den USA auf HBO Max veröffentlicht. In Deutschland hat sich Starzplay die achtteilige erste Staffel gesichert. Die ersten beiden Folgen werden dort ab Sonntag, den 15. Mai zu sehen sein, die weiteren folgen wöchentlich.
Über den Autor
Leserkommentare
User 65112 schrieb am 29.07.2022, 13.29 Uhr:
Super Serie, man hat wirklich das Gefühl, nah dran zu sein, an der fremden Kultur. Das Konzept aber, am Originalschauplaztz zu drehen, mit einheimischen Dartsllern und in Landessprache, wurde seit "Narcos" ja schon erfolgreich etabliert. Ein echter Pluspunkt!Torsten S schrieb am 11.04.2022, 21.07 Uhr:
Trotz Micheal Mann, kommt diese Serie auch nicht im Geringsten an die Kult-Serie Miami Vice ran. Weder vom Stil, Charaktere, noch Action und schon garnicht im Bezug auf Ausstattung.
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